Nach einer technisch bedingten Zwangspause nun im Nachgang zum „Wunschzettel“ vom 8. Dezember eine weitere Geschichte aus meiner Jugend. Dazu muss man erstens wissen, dass meine Mutter eine eher feine Frau war, die mit viel Liebe drei Gören großzog und der seltenst ein böses Wort über die Lippen kam. Zweitens sind meine Schwestern etwas älter als ich (sieben und zwölf Jahre).

Ich war so etwa sechs, und zuhause war irgendeine große Familiensause in der Vorbereitung, Silvester, ein großer Geburtstag oder sowas, ich weiß es nicht mehr. Mutter werkelte heftigst in der Küche und beide Schwestern halfen ihr. Der kleine Frank hatte mal wieder niemanden zum Spielen und vertrieb sich die Zeit mit seiner überbordenden Phantasie. Ich sauste auf den verschiedensten Gefährten (oder auch nur gedachten) den Flur vor der Küche hin und her und erheischte Aufmerksamkeit: „Guck mal Mama, ich bin ein kleiner Rennfahrer!“ Fünf Minuten später: „Guck mal Mama, ich bin ein kleiner Trapper!“ (Karl May kannte ich schon gut.) Bald darauf hatte ich den nächsten Einfall: „Guck mal Mama, ich bin ein kleiner Astronaut!“ Fünf Minuten später kam ich wieder vorbeigeritten: „Guck mal Mama, ich bin ein  kleiner Indianer!“ Da platzte meine Mutter.

Die ganze Zeit hatte sie in ihrem Küchenstress zuerst geguckt und beifällig genickt, mich dann mehr und mehr ignoriert, während sie den Braten und zwei Schwestern beaufsichtigte und nebenher zusah, dass wahrscheinlich zehn Zutaten gleichzeitig fertig wurden und sie wahrscheinlich schon fünfmal über mich gestolpert war. Bis der kleine Indianer das Fass zum Überlaufen brachte. „Weißt du was du bist?“ meinte meine Mutter trocken. „Du bist ein kleines Aschloch!“ Es entstand ein kurzer Moment der Stille, bis meine Schwestern losprusteten wie ich es noch nie gehört hatte. Denn sie hatten noch nie erlebt, dass ihre Mutter sowas sagt, und dass es ausgerechnet den kleinen, angeblich ja immer bevorzugten Bruder erwischt, das vergrößerte ihre Heiterkeit noch mehr. Die Arbeit in der Küche kam vorübergehend zum Erliegen und meine Mama wusste nicht, ob sie lachen oder weinen sollte. Zum Glück entschied sie sich dann für das erste.