Als mich eine Freunding für Xing warb, hatte ich diese eine Freundin über ein halbes Jahr lang als einzigen Kontakt (bei Xing). Gut, das macht nicht den Sinn eines Netzwerkes aus, aber irgendwie fand ich es cool und dachte, wenn ich das zehn Jahre lang durchhalte, bekomme ich eine Medaille als erfolgreicher Single-Xinger verliehen. Irgendwann ließ es sich jedoch nicht verhindern, dass es ein paar mehr Kontakte wurden, aber ich ging das ganze weiterhin ziemlich naiv an. Ich werde nie vergessen, wie einer meiner Kontakte, eine erfolgreiche PR-Beraterin, sich königlich amüsierte, als ich meinte, dass man doch alle seine Kontakte persönlich kennen sollte. Sie hat weit über 1000 . . .

Weil nun alle meinen, Facebook sei viel wichtiger, meldete ich mich auch dort an. Nun gut: Schon bei Xing hatte ich Leute, die auf eine sagenhafte gemeinsame Historie verwiesen, an die ich mich aber partout nicht erinnern konnte, abgelehnt. Das passierte nun häufiger. Man muss ja nicht. Aber wenn ich an den gewaltigen Aufstand gegen die Volkszählung 1987 denke, (der allein schon deswegen berechtigt war, weil die Behörden Volkszählungsgegner reihenweise kriminalisierten,) dann kann ich nur staunen, was Leute heute alles freiwillig ins Netz stellen. Warum nicht gleich auch noch die Kreditkartennummer? Da herrscht eine unglaubliche Unbekümmertheit. So musste ich im Gespräch mit Berufsseinsteigern in der Bewerbungsphase feststellen, dass ein Großteil von ihnen einfach nicht glauben wollte, dass Personalchefs die Namen ihrer Kandidaten googeln. Ein blödes Fetenfoto vom Bewerber kurz vorm Delirium und diese Karriere ist gegessen.

Und das große Ganze entwickelt sich immer weiter. Damit meine ich nicht nur die 600 Millionen Facebook-Nutzer, sondern auch: Was heute „der Trend“ ist, kann morgen schon uncool sein. Yahoo, AOL, wo seid ihr geblieben? Und was die ganz Großen oder wenigstens Seriösen basteln, ist auch nicht alles so toll. Da kann man jetzt bei Xing Statusmeldungen kommentieren oder „interessant“ finden. Einen habe ich heute schon gesehen, der sich selbst interessant findet. Anstatt weiter auf Seriösität zu setzen, lässt man sich auf eine Beliebigkeit a la Facebook ein – „Gefällt mir“. Ja und? Da Facebook offenbar befürchtet, dass seine 600 Millionen Nutzer nicht wissen, worüber sie sich unterhalten sollen, wird nicht nur das Ja/Nein-Spiel mit seinen zufallsgenerierten und größtenteils erzdämlichen Fragen gespielt, sondern es werden als „Heute Populär“ Themen gesetzt. Heute lese ich da: „Wie gut kennst du deine Freunde?“, „Wann wirst du heiraten?“ und – ich liebe es! – „Wer du’s heimlichen Verehrer?“ Das kommt wohl davon, wenn Content-Manager in Rumänien oder auf den Philippinen sitzen. Doch von solchen Niedlichkeiten sollte man sich nicht täuschen lassen: Gegoogeltes gilt vielen als Gesetz und Facebook hilft Regierungen stürzen.

„1984“ ist ein Buch von George Orwell, das 1949 erschien. 1956 kam der Film in die Kinos. 1984 stellten wir erleichtert fest, dass von Orwells Visionen so gut wie nichts eingetroffen war. Heute sind wir einen großen Schritt weiter.