Als Zugezogener im Rheinland bin ich so eine Art Beikircher light – ich kann nicht so gut singen wie der Konrad, und den rheinischen Zungenschlag habe ich mir auch nicht so stark zu Eigen gemacht. So irrlichtere ich sprachlich zwischen den Berliner Wurzeln meiner Eltern, meiner Heimat im Bergischen Land und der Ebene zwischen Köln und Kleve umher. Und in diesem unendlich flachen Land ist ja nicht alles schlecht; so bewundere ich sehr die Redensart: „Et hätt ja noch immer juut jejange!“ Von der Bedeutung her heißt das im Hochdeutschen: „Ist doch nix passiert!“

 Was mich am Rheinischen am meisten fasziniert, sich also auch in den Sprachgebrauch eingeschlichen hat, sind weniger Worte als Riten. So die Begrüßung. „Tach!“ „Wie isset!“ „Muss!“ (seltener: Juut!) „Hauptsach!“ Das Ausrufezeichen hinter „Wie isset!“ steht da mit Absicht, denn diese Aussage ist nicht wirklich als Frage zu verstehen. Aus diesem anfänglichen Flachabtausch kann sich eine abendfüllende Debatte über Gott und die Welt entwickeln, es kann aber auch damit einfach „juut“ sein, was der deutliche häufigere Fall ist.

Dumm nur, wenn das „Wie isset!“ plötzlich als vollkommen ernst gemeinte Frage begriffen und dann auch noch ausführlich beantwortet wird, möglichst auch noch mit einem schlimmen Schicksal verbunden. So passierte es mir, als ich auf der Straße einen Mann traf, den ich persönlich nicht näher, aber aus seiner Tätigkeit als Musiker dann doch kannte. Und er mich. Beim „Wie isset!“ dachte ich schon, das Gespräch sei zu 50 Prozent erledigt – da sprudelte es aus ihm heraus : dass er im Krankenhaus war, jetzt zwar wieder raus, aber die Diagnose nicht so toll, und die Ärzte wüssten auch nicht, und überhaupt ginge es ihm ganz beschissen. Es fehlte nur noch, dass er mir offenbart hätte, bald sterben zu müssen. Ich war so geschockt (a. Anteilnahme, b. unerwartete Entwicklung der Situation), dass mir nichts besseres einfiel als in das gewohnte Muster zu verfallen. Mit einem wahrscheinlich saublöden Grinsen winkte ich ihm zu, rief „Hauptsach! Mach‘ et juut!“ und war um die nächste Ecke.

In der Regieanweisung steht: „peinlicher Abgang“.